Fasanenhofschule / Kassel

Zeitzeugin Maria Vater zu Besuch im Geschichtsunterricht der R 10

Maria Vater aus dem Stadtteil Fasanenhof besuchte am 19. April 2010 im Rahmen des Geschichtsunterrichts zum Thema „Nationalsozialismus“ unsere beiden 10. Realschulklassen für jeweils eine Stunde, um uns Schülerinnen und Schülern von Erlebnissen aus ihrer Kindheit und Jugend während der „Hitlerzeit“ zu erzählen.

Sie wurde 1924 geboren und holte nach 8 Jahren Volksschulbildung ihre Mittlere Reife auf einer Abendschule nach. Ab 1965 arbeitete sie als Leiterin der Verbraucherberatung in Kassel. Seit 1950 ist sie Mitglied der SPD und war seit 1972 im Vorstand der SPD Kassel tätig, von 1970 bis 1982 auch Mitglied des Hessischen Landtages. Maria Vater hat zwei Kinder und ist verwitwet.

Bei der Machtübernahme Hitlers war sie ein kleines Mädchen von 9 Jahren, das in einem streng katholischen und überzeugt demokratischen Elternhaus aufwuchs. So hing zu Hause anstelle einer Fotografie des „Führers“ ein Kruzifix über dem Kamin. Frau Vater hatte sich niemals von Hitler beeindrucken lassen, wie sie uns versicherte, dennoch war auch sie neugierig und erlebte ihn einmal „live“ während einer Rede auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Sie konnte nichts Besonderes oder Bewundernswürdiges an ihm finden.

Am 22. Oktober 1943 bekam sie die Luftangriffe auf Kassel hautnah mit, ihre Familie blieb glücklicherweise unverletzt, doch das Entsetzen über die Zerstörung und die unzähligen Todesopfer war groß. Noch heute träumt sie manchmal von den vielen Leichen, die sie in dieser Nacht sah.

Wir erfuhren von ihr, dass sie oft mit ihrer Mutter nachts in einen Bunker unter dem heutigen Klinikum Kassel flüchtete, um sich vor den Angriffen zu schützen. So stand damals immer ein „Bunkerkoffer“ fertig gepackt bereit, um sich schnellstmöglich in Sicherheit bringen zu können. Sämtliche Ausweise und wichtige Dokumente hatten darin ihren Platz.

Als junges Mädchen ist es Frau Vater gelungen, den Eintritt in den „BDM“ zu vermeiden.

Sie erzählte von ihrem Entsetzen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der „Reichspogromnacht“ („Kristallnacht“), als auch die Jüdische Synagoge auf dem Friedrichsplatz brannte, „der Anblick zerriss mir das Herz!“ Mit diesen Worten beschrieb sie ihre Gefühle, als sie an den Trümmern der Synagoge vorbei lief und daran denken musste, wie oft sie dort friedliche Juden mit ihrem gelben Stern auf der Brust und ihrer Kippa (Gebetskappe) und Tora (Bibel) gesehen hatte. Sie hatte viel Respekt vor ihnen.

Frau Vater erzählte ihre Geschichte in beiden Klassen jeweils eine Stunde lang spannend und bewegend. Wir Schülerinnen und Schüler waren ganz still und hörten sehr aufmerksam zu, zum Schluss kamen wir ins Gespräch und stellten einige Fragen, die die alte Dame bereitwillig und erfreut über das Interesse beantwortete.

Wir sind froh, dass wir Frau Vater kennen gelernt haben, sie hat uns sehr beeindruckt. Am Ende hat sie nicht nur geholfen zu verstehen, was damals geschehen ist, sondern auch glaubwürdig und lebendig vermittelt, wie sie und viele andere Betroffene sich damals gefühlt haben.

Maria

Felicitas Baecker, Klasse R 10